Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki ist wohl ohne Frage eine der polarisierendsten Persönlichkeiten der katholischen Kirche in Deutschland. Von vielen Seiten – Medien, Gläubigen und Teilen der Kirche – wird der Kölner Erzbischof scharf kritisiert. Dabei geht es häufig um die Vorwürfe der Vertuschung eines Missbrauchsskandals und eines vermeintlichen Meineids, die jedoch inzwischen rechtlich vom Tisch sind – aber in den Köpfen der Kritiker allgegenwärtig bleiben.
Dennoch zählt er zu einem der wenigen Bischöfe, die sich nicht dem Mainstream hingeben. Er sucht kreative und vermutlich deshalb umstrittene Wege der Neuevangelisierung. Mit Projekten wie dem Bau eines Bildungscampus für katholische Bildung im Kölner Migrantenviertel oder der Offenheit für missionarische Methoden wie die „Church-Planting-Initiativen“ der anglikanischen Kirche Großbritanniens zeigt Woelki ein Engagement, das weit über Verwaltungsaufgaben hinausgeht. Zudem ist er einer der wenigen deutschen Bischöfe, die sich in politischen Fragen öffentlich klar positionieren. Genau dieser Einsatz bringt mich zu der Frage, ob seine Person nicht auch deshalb so umstritten ist, weil er sich dem Mainstream widersetzt – innerhalb und außerhalb der Kirche.
Den Blick wieder auf das Wesentliche richten
Die Tendenz bei den Mitgliederzahlen zeigt besonders in den letzten Jahren nur in eine Richtung – nach unten. Verschiedene Studien legen offen, dass die Mitgliederzahl der Kirchen in den nächsten drei Jahrzehnten um rund die Hälfte sinken wird. Die Folge davon: starke Pläne zur Einsparung von Kosten und Ausgaben. Das lässt auch das Erzbistum Köln nicht kalt. Doch anstatt die Entwicklung zu akzeptieren und möglichst das Beste daraus zu machen, macht sich Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki auf die Suche – die Suche nach Möglichkeiten, die Tendenz zu stoppen.
Hier zeigt sich der Erzbischof kreativ und unermüdlich. Die Wende, die er anstrebt, soll durch eine verstärkte Ausrichtung auf die Evangelisierung erfolgen. Seiner Überzeugung nach muss die Kirche ihre Kräfte wieder stärker darauf konzentrieren, Menschen für eine lebendige Beziehung zu Gott zu gewinnen. Woelki geht es darum, den Kern des Christentums wieder ins Zentrum zu rücken. So fördert er Glaubensfeste, kirchliche Gruppen und geht schon mal den ein oder anderen außergewöhnlichen Weg.
In seinem missionarischen Eifer blickt Woelki auch über Grenzen hinaus: So holte er sich Anregungen von der anglikanischen Kirche in Großbritannien, die mit sogenannten „Church-Planting-Initiativen“ neue Wege der Glaubensweitergabe geht. In Regionen ohne aktive Kirchengemeinde lassen sich dort kleine Gruppen engagierter Christen nieder, um von Grund auf neue Gemeinden aufzubauen – mit viel persönlichem Einsatz, Gebetskreisen und sogenannten Alpha-Kursen, die einen niederschwelligen Einstieg in den Glauben bieten.
Kardinal Woelki zeigt sich kämpferisch: Katholische Bildung in Vierteln mit großem Migrationshintergrund
Doch auch im Bistum geht der Kardinal einen besonderen Weg. Denn dort stellt er die Verteilung der Finanzmittel in Anbetracht der Anzahl der Gläubigen neu auf. Rückläufige Zahlen bedeuten auch weniger Ressourcen – ein zusätzlicher Grund für Gemeinden, sich neu mit der Frage der Mission auseinanderzusetzen.
Für mächtig Verwunderung sorgte Kardinal Woelki auch mit der Eröffnung des neuen Bildungscampus in Köln-Kalk. Zwei neue Schulen, die stark von der Religion und dem Glauben an Gott geprägt sind: Morgen- und Mittagsgebete, regelmäßige Pflichtgottesdienste und katholischer Religionsunterricht für alle Schüler – egal welcher Religion – und das in einem Viertel, in dem mehr als die Hälfte der Bewohner einen Migrationshintergrund haben und der Anteil der Muslime stetig steigt. Kann das gut gehen? Ja, es kann. Das vermeldet das Bistum, denn die Nachfrage scheint größer zu sein als das Angebot.
Mit dem Gedanken, dass die Jugend früh mit dem Glauben in Kontakt kommen müsse, sind sich die Kirchenmänner einig. Doch kaum jemand greift durch – anders als Kardinal Woelki, der katholische Schulen aufgibt, wenn diese sich kaum noch dem Glauben widmen. Hier gibt auch die Kölner Hochschule für katholische Theologie (KHKT) ein gutes Beispiel ab. Denn anders als die Bonner Universität, die eher der liberalen Haltung in Deutschland folgt, ist die KHKT tief im Glauben und der Weltkirche verortet. Allen Protesten der Uni Bonn und dem Land Nordrhein-Westfalen zum Trotz hält Woelki an seinem Vorgehen fest – und hat Erfolg. Die Zahl der Anmeldungen zur theologischen Ausbildung oder zur Ausbildung zum Priester steigt konstant.
Gegen den Trend – aber mit Überzeugung
Kardinal Rainer Maria Woelki erntet für seine Überzeugungen und sein Handeln viel Kritik. Auch wenn er, wie seine Bischofskollegen, sich dem Schutz der Bedürftigen, Kranken und Alten sowie dem Einsatz für die Natur und die Schöpfung Gottes widmet, gibt es etwas, das ihn von den anderen unterscheidet: sein konsequentes Eintreten für den Schutz ungeborenen Lebens. Nicht nur, dass er Grußworte an die Demonstranten des „Marsches für das Leben“ richtet – er äußert als einer der wenigen Bischöfe öffentlich Kritik an liberalen Abtreibungshaltungen. So auch in der aktuellen Debatte um die Richterkandidatin für das Verfassungsgericht, Frauke Brosius-Gersdorf. Die Kandidatin der SPD, die sich positiv zur Legalisierung der Abtreibung äußerte, bezeichnete Kardinal Woelki als „unwählbar“.
Doch nicht nur in politischen Fragen, sondern auch in kirchlichen gehört der Kölner Erzbischof zu den wenigen, die sich gegen eine Segnung gleichgeschlechtlicher Paare und die Lockerung des Zölibats stellen. Auch wenn er damit in der Weltkirche der Mehrheit angehört, steht er in Deutschland auf der Seite der Minderheit.
Seine Treue zur Lehre der katholischen Kirche, sein Einsatz für das ungeborene Leben, seine Ablehnung populärer, aber theologisch umstrittener Reformforderungen und sein Beharren auf dem Wesentlichen des Glaubens machen ihn zu einer Ausnahme in einer Zeit, in der viele den vermeintlich bequemen Weg gehen und sich der Mehrheit anschließen. Ist Kardinal Woelki vielleicht gerade deshalb so umstritten, weil er es wagt, konsequent anders zu denken – nicht im Sinne des Zeitgeists, sondern im Sinne des Glaubens?