StartWirtschaft & PolitikAbgeschwächtes Lieferkettengesetz: „Desaster für Menschenrechte und Europa“

Abgeschwächtes Lieferkettengesetz: „Desaster für Menschenrechte und Europa“

Es war der 24. April 2013, an dem Europa schockiert nach Bangladesch blickte. Es war der Tag, an dem Tausende Arbeiterinnen und Arbeiter beim Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza ihr Leben verloren. Der Grund: mangelnde Rücksicht auf Arbeitssicherheit und menschenunwürdige Arbeitsverhältnisse. Nach dem weltweit größten Unglück in der Geschichte der Textilindustrie verabschiedete das EU-Parlament im April 2024 das Lieferkettengesetz. Nur 19 Monate später stimmte das Parlament für Lockerungen eben jenes Gesetzes, das die Einhaltung von Menschenrechten und nachhaltiger Wirtschaft fördern soll. Nach dem Entscheid in der EU kritisierten mehrere Entwicklungsorganisationen den Beschluss des Parlaments als „Desaster für die Menschenrechte und die EU“.

Entwicklungsorganisationen kritisieren Beschluss des EU-Parlaments

Das EU-Lieferkettengesetz, das im April vergangenen Jahres endgültig verabschiedet wurde, beschloss das EU-Parlament als Reaktion auf tragische Ereignisse wie den Einsturz des Textilfabrikkomplexes Rana Plaza in Bangladesch. Dort kamen 2013 mehr als 1.135 Menschen – etwa 1.100 Frauen – ums Leben, weil gravierende Sicherheitsmängel am Gebäude und in der Arbeitssicherheit ignoriert worden waren. In dem maroden Gebäudekomplex arbeiteten vor allem Textilbetriebe, aber auch Geschäfte und eine Bank waren dort untergebracht. Europa reagierte damals mit Entsetzen auf das Unglück, weil zahlreiche Modeunternehmen wie Primark, Mango, KiK oder C&A dort Kleidung für den europäischen Markt fertigen ließen.

Doch das Parlament entschied nun eine Abschwächung der Richtlinie. Mehrere Entwicklungsorganisationen äußern deshalb scharfe Kritik am EU-Parlament. Der Menschenrechtsexperte Armin Paasch vom katholischen Hilfswerk Misereor sprach in Aachen von einem „Desaster für die Menschenrechte und die EU“. Auch Germanwatch warnte, die Entscheidung gefährde die internationale Glaubwürdigkeit der EU als Vorreiterin für nachhaltiges Wirtschaften. Die Organisation warf der konservativen EVP-Fraktion vor, ein zentrales Menschenrechts- und Umweltgesetz verwässert zu haben.

Lieferkettengesetz „bis zur Unkenntlichkeit abgeschwächt“

Das EU-Parlament hat am Donnerstag umfassende Abschwächungen des geplanten Lieferkettengesetzes beschlossen. Künftig sollen nur noch Unternehmen mit mehr als 1.750 Beschäftigten verpflichtet sein, über soziale und ökologische Auswirkungen ihrer Tätigkeit zu berichten. Sorgfaltspflichten entlang globaler Lieferketten wären sogar erst für Firmen mit mehr als 5.000 Mitarbeitenden und einem Jahresumsatz von über 1,5 Milliarden Euro vorgesehen.

Die Initiative Lieferkettengesetz – der unter anderem Misereor, Germanwatch, Oxfam und Brot für die Welt angehören – verurteilte die Entscheidung scharf. Durch die gemeinsame Mehrheit der Europäischen Volkspartei und rechtsextremer Fraktionen sei die Richtlinie „bis zur Unkenntlichkeit abgeschwächt“ worden, heißt es. Dies sei ein „politischer Dammbruch“ mit Folgen für Menschenrechte, Umwelt und die Stabilität der EU.

Ein zentraler Kritikpunkt ist, dass die Abstimmung ohne die übliche Kompromissbildung der proeuropäischen Parteien der politischen Mitte zustande kam. Während die EVP die Entlastung der Wirtschaft hervorhebt und den Sozialdemokraten mangelnde Kompromissbereitschaft vorwirft, sehen diese die Verantwortung bei CDU/CSU. Am Dienstag starten die Verhandlungen mit den EU-Mitgliedsstaaten, die bis Jahresende abgeschlossen werden sollen.

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