Wie weit darf der Europäische Gerichtshof gehen, wenn nationale Kompetenzen auf dem Spiel stehen? Das jüngste Urteil, das Polen zur Anerkennung im Ausland geschlossener gleichgeschlechtlicher Ehen verpflichtet, wirft genau diese Frage auf und stößt in politischen wie gesellschaftlichen Kreisen auf deutliche Kritik. Viele polnische Vertreter sehen darin einen Eingriff in ihre demokratisch verankerten Zuständigkeiten und warnen vor einer Ausweitung europäischer Befugnisse in sensiblen Bereichen wie Familien- und Ehepolitik.
Hintergrund
Zwei gleichgeschlechtliche polnische Staatsbürger heirateten in Deutschland. Als sie nach Polen zurückkehrten, beantragten sie, ihre Ehe in das polnische Zivilregister eintragen zu lassen. Die polnischen Behörden lehnten dies jedoch mit der Begründung ab, dass das polnische Recht keine rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Ehen vorsehe.
Das jüngste Urteil des Europäischen Gerichtshofs, das Polen nun zur Anerkennung im Ausland geschlossener gleichgeschlechtlicher Ehen verpflichtet, wirft berechtigte Zweifel an der Achtung nationaler Zuständigkeiten und der demokratischen Selbstbestimmung auf. Kritiker reagieren besorgt auf die Entscheidung.
Politischer Widerstand gegen EU-Gerichtsurteil zur gleichgeschlechtlichen Ehe
Zahlreiche polnische Politiker und Organisationen erkennen in dem Urteil einen gravierenden Eingriff in die nationale Entscheidungshoheit. Olivier Bault, Kommunikationsdirektor des Instituts Ordo Iuris, sprach sogar von einem „weiteren Übergriff des Europäischen Gerichtshofs“. Er verweist darauf, dass Fragen von Ehe und Familie laut EU-Verträgen ausdrücklich in der Verantwortung der Mitgliedstaaten liegen und alle 27 Länder dieses Prinzip durch ihre demokratischen Verfahren bestätigt haben. Nach seiner Auffassung stützt sich das Gericht auf weit interpretierte Grundrechte wie Freizügigkeit und Achtung des Privatlebens, um in Bereiche vorzudringen, die nach geltendem Recht eindeutig der nationalen Gesetzgebung vorbehalten sind.
Auch der frühere polnische Premierminister Mateusz Morawiecki kritisierte das EuGH-Urteil als tiefgreifenden Eingriff in die Angelegenheiten der Mitgliedstaaten mit erheblichen Auswirkungen auf polnische Familien. Zur Verdeutlichung seiner Kritik zog er einen drastischen Vergleich zur Drogenlegalisierung: Nach der Logik des Gerichts, so Morawiecki, müsste Polen dann auch Drogenimporte akzeptieren, nur weil Länder wie die Niederlande sie legalisiert hätten.
Der polnische Europaabgeordnete Tobiasz Bocheński bezeichnete das Urteil als „Beispiel für einen Angriff auf die Rechtsstaatlichkeit“. Nach seiner Auffassung nimmt die Entscheidung den Bürgerinnen und Bürgern in Polen die Möglichkeit, grundlegende gesellschaftliche Fragen selbst zu gestalten und über die Zukunft ihres Landes eigenständig zu entscheiden.
Gerichtsurteil: Kollision mit der katholischen Soziallehre
Durch das Gerichtsurteil verschwimmen die Grenzen der Zuständigkeiten. Das in den EU-Verträgen verankerte Prinzip der Subsidiarität soll die Vielfalt der Mitgliedstaaten wahren und zentralistische Tendenzen verhindern. Es soll die Dezentralisierung der Autorität unterstützen und lokale Entscheidungen gegenüber zentralen bevorzugen. Doch überschreitet der Europäische Gerichtshof hier nicht diese Grenze?
Unabhängig von der politischen Fragwürdigkeit des EU-Gerichtsurteils wirft die Entscheidung auch fundamentale ethische Fragen auf. Die Ehe gilt in der kirchlichen Lehre als sakramentale, unauflösliche Verbindung zwischen Mann und Frau, die auf gegenseitiger Ergänzung und Offenheit für das Leben basiert. Darauf wies zuletzt auch der Präfekt des Dikasteriums für die Glaubenslehre, Kardinal Víctor Manuel Fernández, bei der Vorstellung des Dokuments „Una Caro (Ein Fleisch): Lob der Monogamie“ hin, in dem er auf die von Gott gewollte Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau betonte. Ein Urteil, das Staaten zur Anerkennung anderer Verbindungsformen verpflichtet, berührt somit unmittelbar das Selbstverständnis der Kirche von Ehe und Familie.
