Die Diskussion um mögliche medizinische Behandlungseinschränkungen bei Hochbetagten hat eine heftige ethische Kontroverse ausgelöst. Auslöser waren Überlegungen des CDU-Gesundheitspolitikers Hendrik Streeck. Der Bundesdrogenbeauftrage warf in einem TV-Interview die Frage auf, ob hochbetagte, schwerkranke Menschen Zugang zu neuesten, teuren Therapien erhalten sollten. Vertreter beider großer Kirchen reagierten umgehend und mit scharfer Kritik: Sie warnen vor Altersdiskriminierung, Willkür und einem Dammbruch in zentralen Grundsätzen der medizinischen Ethik. Auch die Bundesregierung distanziert sich deutlich von Streecks Vorstoß.
Kirchen warnen vor Altersdiskriminierung in der Medizin
Kardinal Rainer Maria Woelki mahnte in der Kölnischen Rundschau einen besonderen Schutz für ältere und gesundheitlich vulnerable Menschen an. Eine ernst gemeinte Diskussion darüber, wirksame medizinische Methoden an Altersgrenzen zu knüpfen, müsse auf „breites Unverständnis und Ablehnung“ stoßen, so der Kölner Erzbischof.
Auch der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Thorsten Latzel, stellte klar, dass ethische Grundprinzipien im Gesundheitswesen nicht aufgeweicht werden dürften. Das Alter dürfe keinesfalls zum Kriterium für den Zugang zur bestmöglichen medizinischen Behandlung werden, betonte er. Überlegungen wie jene von Hendrik Streeck seien „altersdiskriminierend und brandgefährlich“, da sie „Tür und Tor für völlige Willkür“ öffneten. Latzel warnte, dass eine solche Logik auch anderen Patientengruppen Behandlungen vorenthalten könnte. Im Mittelpunkt politischer Entscheidungen müssten daher stets die medizinische Indikation und der Wille der Betroffenen stehen.
Behandlungseinschränkungen bei Hochbetagten stoßen auf Widerspruch aus der Regierung
Auslöser der Reaktion der Kirchenvertreter waren Äußerungen des CDU-Gesundheitspolitikers und Bundesdrogenbeauftragten Hendrik Streeck. In einem TV-Gespräch bei Welt TV stellte er zur Diskussion, ob bei hundertjährigen Patienten mit weit fortgeschrittenen Krebserkrankungen unbedingt noch neueste, teure Therapieansätze angewendet werden müssten – insbesondere dann, wenn diese die Sterblichkeit lediglich um rund zehn Prozent senkten.
Die Bundesregierung distanzierte sich jedoch deutlich von den Aussagen ihres Drogenbeauftragten. Regierungssprecher Steffen Meyer erklärte, Streeck dürfe zwar eigene Vorschläge einbringen, müsse sich dabei jedoch der Verantwortung seines Amtes bewusst sein. Einige Themen sollten zuvor „vernünftig vorbereitet“ werden, so Meyer. Die Überlegungen entsprächen weder der Linie der Bundesregierung noch jener des Bundesgesundheitsministeriums, betonte Meyer. Auch eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums stellte klar, dass eine solche Zielrichtung nicht verfolgt werde.
Später verteidigte sich Streeck. Es gehe ihm nicht um Einsparungen, sondern darum, „schwerstkranken Patienten unnötige Behandlungen zu ersparen“. Zugleich legte er nach, indem er vor Fehlanreizen im Gesundheitssystem warnte. Ältere, hochfragile Menschen würden in Deutschland „nicht selten tot operiert“. Entscheidend seien in solchen Situationen der Wille der Patienten, ihre Würde und ihr persönliches Empfinden von Frieden. Um die Würde des Menschen zu schützen, verwies Woelki auf die Bedeutung einer verlässlichen, flächendeckenden Hospiz- und Palliativversorgung.
Kommentar:
Am Ende behandelt die Debatte einen Punkt, der doch gar nicht verhandelbar sein sollte: die unveräußerliche Würde des Menschen in jedem Lebensalter und jeder Lebenslage. Eine solche Politik, die Behandlungen für Hochbetagte einschränkt, trifft gerade jene, die am schutzbedürftigsten sind und zudem oft ohnehin das Gefühl haben, ihren Mitmenschen im Umfeld zur Last zu fallen. Dieser Gedanke riskiert, dass ökonomische Überlegungen über das christliche Prinzip der Nächstenliebe gestellt werden. Außerdem: Wer entscheidet, wann ein Mensch „zu alt“ für Therapie, Fürsorge oder Hoffnung ist? Aus kirchlicher Perspektive erinnert diese Diskussion daran, dass unser Umgang mit den Schwächsten immer auch ein Maßstab für die Menschlichkeit unserer Gesellschaft bleibt. Jeder Mensch trägt die von Gott gegebene, unantastbare Würde – und diese darf nicht an Lebenszeit, Kosten oder statistischen Prognosen gemessen werden.
