Die Deutsche Palliativ-Stiftung lehnt eine gesetzliche Neuregelung der assistierten Sterbehilfe ab. Das betonte der Stiftungsvorstand Thomas Sitte am Montag gegenüber der Katholischen Nachrichten-Agentur in Fulda. Warnend blickte Sitte auf Kanada und das Nachbarland Niederlande, wo die Zahl der Sterbehilfsfälle seit der Legalisierung stark angestiegen sei. Eine Änderung des Gesetzes hält der Vorstand für ein „Abrutschen auf der schiefen Bahn hin zu weniger Lebensschutz“. Auch die katholische Kirche betont regelmäßig den Schutz der Menschenwürde und des Lebens und fordert stattdessen eine bessere palliative Betreuung.
Palliativ-Stiftung warnt vor Normalisierung der Sterbehilfe
Als warnendes Beispiel nannte Stiftungsvorstand Sitte Kanada, das 2016 die medizinische Sterbehilfe gesetzlich legalisierte. Nach Angaben der Deutschen Palliativ-Stiftung sei die Zahl der Tötungen von alten und schwerkranken Menschen rasant gestiegen. So berichtet die Stiftung, dass nach den Zahlen aus dem Jahr 2023 4,7 Prozent der Todesfälle in Kanada auf „Tötung auf Verlangen“ zurückzuführen seien. „Die Erfahrungen in anderen Ländern wie den Niederlanden oder Kanada zeigen eindeutig, dass rechtliche Normierungen zu einer Normalisierung von Suizidassistenz und von Tötungen auf Verlangen führen“, sagte Sitte wörtlich.
Auch in den Niederlanden ist ein starker Anstieg zu verzeichnen. Laut offizieller Statistik wurden dort 9.958 „Sterbehilfsfälle“ registriert – das entspricht einem Anteil von 5,8 Prozent aller 172.000 Todesfälle.
Insgesamt erkennt die Palliativ-Stiftung für Deutschland und Westeuropa eine gesellschaftliche Forderung zur Liberalisierung und Freigabe der Suizidbeihilfe und der „Tötung auf Verlangen“. Das sei vorerst auch nicht aufzuhalten, mahnt Sitte, der jedoch überzeugt ist, dass „das Pendel irgendwann auch wieder zurück in Richtung mehr Lebensschutz ausschlagen wird“. Vor fünf Jahren erklärte das Bundesverfassungsgericht das damalige Verbot der geschäftsmäßigen Suizidassistenz für verfassungswidrig. In seinem Grundsatzurteil betonte das Gericht ein individuelles Recht auf selbstbestimmten Suizid sowie auf ärztliche Unterstützung dabei. Seither fehlt in Deutschland eine gesetzliche Regelung zu diesem sensiblen Thema.
Paragraf 216 auf der Kippe? Debatte wird kommen
Die Debatte um eine mögliche Legalisierung der Tötung auf Verlangen dürfte in den kommenden Jahren an Dynamik gewinnen – darin sind sich Experten einig. Nach Einschätzung der Deutschen Palliativ-Stiftung dürfte das derzeitige Verbot gemäß § 216 Strafgesetzbuch kaum haltbar sein. Bereits jetzt gebe es eine erhebliche Dunkelziffer an Fällen, in denen schwerkranke Patientinnen und Patienten aktiv um eine solche Form der Sterbehilfe bitten, so die Stiftung.
Eine anonyme Umfrage unter Klinikpersonal habe ergeben: Zwei Prozent der Befragten gaben an, im vergangenen Jahr von einem Fall der Tötung auf Verlangen erfahren zu haben. Auch die häufiger angewandte palliative Sedierung, bei der sterbende Patienten zur Linderung starker Schmerzen in einen tiefen Schlaf versetzt werden, berge Missbrauchsrisiken, warnte Sitte: „Richtig genutzt verkürzt die Sedierung nicht den Sterbeprozess. Aber es kommt häufig vor, dass die Patienten dann doch mehr Medikamente als nötig erhalten und deshalb sterben.“
Katholische Kirche mit Forderung zur besseren Palliativbegleitung
Die katholische Kirche lehnt sowohl die aktive Sterbehilfe als auch den assistierten Suizid strikt ab. In einem als Brief bezeichneten Grundsatzdokument der Glaubenskongregation aus dem Jahr 2020 mit dem Titel Samaritanus bonus bekräftigt der Vatikan, dass solche Maßnahmen die ethischen und rechtlichen Grenzen der Selbstbestimmung überschreiten. Der assistierte Suizid wird darin als Ausdruck einer „Wegwerfkultur“ kritisiert, die dem menschlichen Leben seinen unantastbaren Würde abspricht. Stattdessen spricht sich die Kirche entschieden für den Ausbau der Palliativmedizin aus, warnt jedoch vor einer zunehmenden Vermischung von palliativer Versorgung und Sterbehilfe, wie sie in einigen Ländern bereits zu beobachten sei.