Mit eindringlichen Worten hat Papst Leo XIV. bei seiner ersten Rede auf libanesischem Boden Politik und Zivilgesellschaft zu Versöhnung und neuem Einsatz für den Frieden aufgefordert. Vor Vertretern des Staates und des diplomatischen Corps warnte er vor den Folgen des anhaltenden politischen Stillstands und der massiven sozialen Krise im Land. Zugleich gab er drei zentrale Empfehlungen, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken und die Zukunft des Libanon zu sichern.
Gefährdetes Gleichgewicht
Rund ein Drittel der Libanesen sind Christen – ein Anteil, dessen Bedeutung laut Präsident Joseph Aoun für das gesellschaftliche Gleichgewicht im Land und in der gesamten Region nicht zu unterschätzen sei. Jede Schädigung der christlichen oder muslimischen Gemeinschaft würde dieses fragile Gleichgewicht gefährden. Aoun warnte: „Der Niedergang des Libanon, herbeigeführt durch den Verlust eines seiner wesentlichen Bestandteile, würde den Aufstieg von Extremismus, Gewalt und Blutvergießen sowohl in unserer Region als auch weltweit fördern.“
In seiner Rede vor Politik, Gesellschaft und Vertretern des diplomatischen Corps in der Hauptstadt stellte Papst Leo XIV. den Frieden, das zentrale Thema seiner Reise, in den Mittelpunkt. Dabei machte er deutlich, dass das Land eine schwere soziale und wirtschaftliche Krise durchlebe, die viele Menschen tief enttäuscht habe. Er betonte, dass Entscheidungen häufig „von wenigen, oft zum Nachteil des Gemeinwohls“ getroffen würden. Diese Tatsache scheine „wie ein unausweichliches Schicksal zu sein“, so der Papst. Die Bevölkerung sei durch eine „Wirtschaft, die tötet“, schwer getroffen worden, zitierte Leo seinen Vorgänger Papst Franziskus. Zusätzlich belasteten globale Instabilität, Radikalisierung und anhaltende Konflikte das Land. Trotz allem habe das libanesische Volk immer wieder einen Neuanfang gewagt und sich demütig dem Aufbau neuer Hoffnung verschrieben.
Drei Ratschläge zu Frieden und Versöhnung im Libanon
Papst Leo XIV. gab der politischen Führung und der Zivilgesellschaft im Libanon drei zentrale Empfehlungen für einen Weg aus der Krise. Wie er betonte, gehe es darum, näher an der Bevölkerung zu arbeiten, aktiv Versöhnung zu fördern und die Ursachen der Auswanderung zu bekämpfen. Die Politik müsse sich wieder konsequent in den Dienst eines vielfältigen Volkes stellen und den Kontakt zu den Menschen nicht verlieren. Damit sprach Leo ein weit verbreitetes Gefühl vieler Libanesen an, die sich seit Beginn der schweren Wirtschafts- und Staatskrise 2019 von ihrer Führung im Stich gelassen fühlen. Der Zusammenbruch der Währung, der Kollaps des Bankensektors und die verheerende Explosion im Hafen von Beirut wirken bis heute nach.
Im Mittelpunkt seines zweiten Rates stand die schwierige Aufgabe der nationalen Versöhnung. In einem Land mit 5,5 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern gebe es, so Leo, tief sitzende persönliche und kollektive Verletzungen, deren Heilung oft Generationen benötige. Echter Frieden sei nicht möglich, wenn man diese Wunden ignoriere. Nötig sei ein gemeinsamer Prozess, der Erinnerung heilt und Menschen zusammenführt, die „Unrecht und Ungerechtigkeit erlitten haben“. Hierfür nehme er die politische Führung in die Pflicht, „das Gemeinwohl über das Partikularwohl zu stellen“.
Papst würdigt Frauen im Friedensprozess
Der dritte Rat des Papstes richtete den Blick auf eines der schmerzhaftesten Probleme des Landes: die anhaltende Abwanderung, von der vor allem junge Menschen betroffen sind. Friedensstifter blieben, auch wenn dies Opfer bedeute, betonte Leo. Zwar zeigte er Verständnis für jene, die wegen Unsicherheit, wirtschaftlicher Not oder Gewalt das Land verlassen, hob jedoch den Wert all jener hervor, die trotz widriger Umstände in ihrer Heimat bleiben und täglich an einer „Zivilisation der Liebe und des Friedens“ mitwirken. Die Kirche wünsche sich, dass niemand zur Auswanderung gezwungen sei und dass Rückkehr für alle möglich bleibe, die dies anstrebten. Der Nahe Osten insgesamt müsse Wege finden, junge Menschen dazu zu ermutigen, Frieden nicht anderswo zu suchen, sondern ihn im eigenen Land mitzugestalten.
Am Ende seiner Ansprache würdigte der Papst zudem ausdrücklich die Rolle der Frauen in Friedensprozessen. Ihr Beitrag sei „unverzichtbar“, sagte Leo, da sie über eine besondere Fähigkeit verfügten, Beziehungen zu stärken und tragende Bindungen zu Menschen, Orten und dem Leben selbst zu schaffen.
