StartGlaubenVolle Kirchen und leere Gewohnheit

Volle Kirchen und leere Gewohnheit

Man besucht so gut es geht jeden Sonntag die Messe. Nur Krankheit oder unabweisbare Pflichten können einen meistens davon abhalten. Wenn doch einmal der Gottesdienst versäumt wird, kommt sofort das schlechte Gewissen auf, das einen dazu drängt, die eigene Treue zu prüfen.

Besonders erfreuend ist die Messe an Weihnachten. Alles ist schön geschmückt, Lieder, die Ohrwürmer hinterlassen, oder das Lichterspiel in der dunklen Jahreszeit machen den Kirchengang umso wunderbarer. Die Kirche ist vor allem am Heiligabend meist rappelvoll. So viele Menschen, dass man endlich versteht, warum die ganzen Bänke in der Kirche stehen. 

Doch diese Fülle regt auch auf. Zwischen den wiederkehrenden Gottesdienstteilnehmenden stehen Menschen, die sonst nie in der Sonntagsmesse gesehen werden. Warum waren sie letzten Sonntag nicht in der Messe? Und davor auch nicht? Selbst an Ostern, dem bedeutenderen Fest, bleiben sie der Kirche fern. Falls man sich öffentlich aufregt, hört man dann oft: „Rege dich doch nicht auf! Sei doch froh, dass so viele hier sind!“ Oder: „Siehst du, der christliche Glaube ist immer noch lebendig!“ In der Predigt heißt es häufig: „Schön, dass so viele da sind!“ Aus theologischer Sicht ist diese Haltung jedoch problematisch.

Der Widerspruch 

„Es gibt nichts Neues unter der Sonne“ (Koh 1,9). Deshalb lohnt es, das Phänomen der „Weihnachtsmessengänger“ genauer zu betrachten. Ein Blick zu den Kirchenvätern ist für theologische Fragen immer erhellend. Und tatsächlich: Das Phänomen war bereits zur Zeit von Johannes Chrysostomus bekannt, also vor rund 1600 Jahren.

In seiner Oratio de epiphania beschreibt der Kirchenvater die Trauer darüber, dass die Menschen nur zu den großen Festen die Kirche füllen und ansonsten meiden: „Ihr alle seid am heutigen Tage voll Freude, ich allein bin traurig. Denn wenn ich auf diese Schaar von Gläubigen hinschaue, die sich groß und weit wie das Meer vor meinen Blicken ausdehnt, auf diesen unermeßlich reichen Schatz der heiligen Kirche, dann muß ich zugleich daran denken, daß diese Schaar [für lange Zeit] hinweggeeilt und verschwunden sein wird, sobald das Fest vorüber ist; und dieser Gedanke ist es, der mein Herz mit Wehmuth und Trauer erfüllt.“ 

Und weiter: „Wenn man die Kirche, die gemeinsame Mutter aller Gläubigen, andauernd und regelmäßig nicht besucht […] ist das überaus großes Unglück.“

Chrysostomus vergleicht das flüchtige Erscheinen mit der Hast von Seefahrern, die den sicheren Hafen nur kurz nutzen und ansonsten auf stürmischer See treiben: „Wißt ihr denn nicht, daß nach Gottes Plan und Absicht in den Städten die Kirchen Dasselbe sein sollen, was im Meere die Häfen? Daß wir aus den Stürmen und Wirren dieses Lebens uns hierher zurückziehen sollen, um hier der größten Ruhe und Sicherheit zu genießen?“

Die Kirche ist Hafen, Hafen für die Seele. Wie entgeht man dem Risiko, von den Wellen der Welt zerstreut zu werden, wenn man den Hafen nur einmal im Jahr aufsucht? Das muss ein ständiger Kraftakt sein, nur einmal im Jahr zur Ruhe kommen zu können.

Die theologische Konsequenz

Die Frage, wie mit solchen „Weihnachtsmessengängern“ umzugehen ist, beantwortet Chrysostomus radikal: Sporadische Teilnehmer behandeln den heiligen Tag wie geraubtes Gut, ja berauben Gott der ihm gebührenden Ehre und sich selbst der Gnade: „Sieben Tage hat die Woche, und diese sieben Tage hat Gott mit uns getheilt. Er hat aber nicht etwa für sich den größern Theil behalten und uns den kleinern gegeben, ja er hat nicht einmal zu gleichen Theilen mit uns getheilt, er hat dir sechs zugewiesen und sich einen vorbehalten. Du aber willst dich nicht dazu verstehen, an diesem einen Tage dich ganz von weltlichen Geschäften abzukehren, und du scheust dich nicht, diesen Tag in derselben Weise zu mißhandeln, wie ein Kirchenräuber das Heiligthum, an dem er sich vergreift! Denn du raubst diesen geheiligten und der Anhörung des göttlichen Wortes geweihten Tag, um ihn zu weltlichen Sorgen zu mißbrauchen.“

Zu viel? Um es nochmal mit Chrysostomus zu sagen: „Was rede ich von dem ganzen Tage? Bringe dem Herrn doch wenigstens einen geringen Bruchtheil dieses Tages zum Opfer, ähnlich dem kleinen Almosen, das die Wittwe gespendet hat!“ Das kann nicht schwierig sein! 

Vom Vollzug zum Konsum

Gut, mag jetzt der Aufwand auftauchen, dass es ja nicht schlimm sei, dass ziemlich viele Gläubige nur an Weihnachten den Gottesdienst besuchen. Aber das ist ja das Problem. Kaugummi kauende Festbesucher, quatschende Erwachsene, ahnungslose Teilnehmer oder auch schmeichelnde, laienhafte Predigten – all das ist sichtbarer Ausdruck geistiger Gleichgültigkeit. Und das ist kein Gottesdienst mehr, sondern oberflächliches Ritual, das den Sinn des Mysteriums verfehlt. Ja nicht einmal das. Es ist nur noch ein Spektakel, ein Erlebnis, das man in der Weihnachtszeit nun einmal erleben sollte, um wenigstens kein schlechtes Gewissen zu haben, nicht dabei gewesen zu sein. Die „Weihnachtsmessengänger“ wirken deshalb für die wiederkehrenden Gottesdienstbesucher nicht umsonst wie Marionetten der Konvention, wie eine bloße Präsenz ohne Substanz.

Wenn die Liturgie konsumiert und nicht vollzogen wird, dann wird die Kirche zur Bühne, die Messe zum Ereignis, der Altar zum dekorativen Mittelpunkt eines netten kulturellen Rituals. Die Kirche ist aber nicht Versammlungsort aus beliebigem Anlass. Sie ist dauerhafte Schule des Glaubens. Wer nur an Festtagen erscheint, entzieht sich dieser Schule bewusst. Die Folge ist nicht bloß Unwissenheit, sondern eine Verzerrung des Glaubens selbst. Und das kann man dann über das Jahr öffentlich hören und sehen, weil nicht selten die unregelmäßigen Teilnehmer die größten, oberflächigen Kritiker der Kirche und ihrer Struktur sind. Solche „Gläubige“ sind kein Gewinn für irgendeine Gemeinde, eher eine Provokation, ein Schatten, der die Heiligkeit jeder Messe stört.

Der Ernst des Gottesdienstes 

Weihnachten legt schonungslos offen, was sich über das Jahr hinweg verdeckt hält. Die vollen Kirchen sind kein Zeichen geistlicher Stärke, sie machen einen Mangel sichtbar. Ein Glaube, der nur aus Anlass existiert, bleibt unverbindlich. Eine Liturgie, die konsumiert wird, verliert ihre ordnende Kraft. Die Messe ist kein kulturelles Angebot und kein jährliches Pflichtprogramm, sie ist Ausdruck einer Lebensform, die Regelmäßigkeit, Einübung und Ernst verlangt.

Gerade hier zeigt sich der größte Fehler im Umgang mit den sogenannten „Weihnachtsmessengängern“. Er liegt in der öffentlichen Bestätigung eines objektiv defizitären Verhaltens. Freundliche, lobende Predigtfloskeln über volle Kirchen oder der Eindruck, bloße Anwesenheit genüge bereits, erzeugen eine trügerische Sicherheit. Liturgie darf kein Ort sein, an dem geistige Unverbindlichkeit legitimiert wird. Schweigen oder beschönigende Worte wirken wie Zustimmung. Die Wahrheit zu sagen, ob sie passt oder nicht, bildet die Grundlage des Christen.

Johannes Chrysostomus benennt dieses Problem mit schneidender Klarheit. Wo der Gottesdienst auf wenige Termine reduziert wird, dort wird Gott Zeit entzogen, der Glaube verformt und das Heilige banalisiert. Die Liturgie selbst setzt die Maßstäbe. Sie ordnet, unterscheidet und macht sichtbar, wer innerlich bleibt und wer fremd bleibt. Weihnachten wird so zum Prüfstein – nicht für die Kirche, aber für den Ernst des Glaubens. Unseres Glaubens.

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