In Schleswig-Holstein ist eine alte Frage wieder auf dem Tisch – und sie ist größer als die Landespolitik selbst: Soll in der Verfassung des nördlichsten Bundeslandes ausdrücklich auf Gott verwiesen werden?
Was auf den ersten Blick wie eine Formalie klingt, berührt bei genauerem Hinsehen das Fundament unseres gesellschaftlichen Selbstverständnisses. Wer oder was ist eigentlich der höchste Bezugspunkt unseres Zusammenlebens? Der Mensch? Der Staat? Oder doch eine höhere Instanz, der sich alle – Machthaber wie Bürger – untergeordnet wissen?
Ein ungewöhnlich breites Bündnis aus Christen, Juden und Muslimen sagt: Ja, wir brauchen diesen Gottesbezug – gerade heute! Vertreter der katholischen und evangelischen Kirche, der jüdischen Gemeinden und mehrerer islamischer Verbände haben sich zusammengeschlossen, um den Landtag in Kiel zu einer erneuten Abstimmung zu bewegen. Denn: Schon zweimal – 2014 und 2016 – scheiterte ein solcher Vorstoß knapp. Beim letzten Mal fehlte nur eine einzige Stimme.
Warum der Gottesbezug mehr ist als ein religiöses Symbol
Erzbischof Stefan Heße bringt es ungewöhnlich deutlich auf den Punkt:
„In der Demokratie bleibt der Ort der höchsten Macht frei.“
Ein Satz, der im ersten Moment irritiert – doch eigentlich tief trifft. Wenn der Staat sich selbst zum höchsten Maßstab macht, verliert sich Demut. Ein Gottesbezug soll kein Missionsversuch sein, sondern ein Schutz vor Selbstüberschätzung. Er erinnert daran, dass Menschen – egal welcher Herkunft, Religion oder Stellung – gleiche Würde haben, weil sie nicht allein von sich selbst her gedacht werden.
Auch Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt unterstützt den Vorstoß. Ihr wichtigster Punkt: Der Gottesbezug darf niemanden ausschließen – weder Gläubige noch Nichtglaubende. Eine Formulierung müsse deshalb offen bleiben, aber trotzdem klar bekennen: Unsere Freiheit ist nicht grenzenloser Relativismus, sondern ruht auf einer Verantwortung, die größer ist als wir selbst.
Ein Zeichen der Einheit – kein Kampfbegriff
Bemerkenswert ist: Dieser Vorstoß wird nicht von einer bestimmten Religionsgemeinschaft vorangetrieben – sondern von allen gemeinsam. Die jüdische Gemeinschaft Schleswig-Holstein, die SCHURA, Ditib Nord, der Landesverband islamischer Kulturzentren – sie alle ziehen an einem Strang. Nicht, weil sie alle Gott gleich verstehen, sondern weil sie um die Kraft des gemeinsamen Bezugspunktes wissen.
In einer Zeit, in der oft nur über das Trennende gesprochen wird – Kopftücher, Kirchensteuer, Kreuz-Debatten – setzen diese Gemeinschaften ein völlig anderes Zeichen:
Wir teilen nicht dieselbe Religion – aber wir teilen dieselbe Demut.
Worum geht es jetzt konkret?
Das Bündnis bereitet einen neuen Antrag für den Landtag vor. Die Messlatte ist hoch: Zwei Drittel der Abgeordneten müssen zustimmen. Doch die Stimmung scheint sich verändert zu haben. Auch viele Politiker, die sich selbst nicht als religiös bezeichnen, erkennen inzwischen:
Eine Verfassung ohne Werte ist wie ein Haus ohne Fundament.
Ein Gottesbezug – richtig formuliert – könnte kein religiöses Diktat sein, sondern ein Signal gegen Beliebigkeit.
Wie könnte so eine Formulierung aussehen?
Oft zitiert wird das Modell anderer Bundesländer. Nordrhein-Westfalen etwa beginnt mit den Worten:
„In Verantwortung vor Gott und den Menschen…“
Eine mögliche Alternative wäre:
„Im Bewusstsein der Verantwortung vor Gott, dem Gewissen und den kommenden Generationen…“
Auch wer nicht an Gott glaubt, weiß: Verantwortung ist größer als persönliches Empfinden.
Fazit: Brauchen wir Gott auf dem Papier?
Die ehrlichere Frage lautet: Brauchen wir Gott im Herzen unserer Demokratie?
Ein Gottesbezug in der Verfassung wird nicht automatisch mehr Glauben schaffen. Aber er kann etwas anderes: Er kann Demut ins Grundgesetz schreiben. Und Demut ist vielleicht die Tugend, die unsere Gesellschaft derzeit am dringlichsten braucht.