StartFamilieDer Vater – mehr als nur eine schlechte Mutter

Der Vater – mehr als nur eine schlechte Mutter

In vielen Familien spielt der Vater nur eine untergeordnete Rolle, denn für die Versorgung des Kindes kommt zumeist die Mutter auf. Aus diesem Grund wird den Müttern auch eine engere Bindung zu ihren Kindern zugesprochen. Doch ist das tatsächlich der Fall? In einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung greift die Anthropologin und Professorin an der Universität Oxford, Anna Malchin, diese Frage auf und erklärt die Ergebnisse der Forschung über die Rolle des Vaters in der Familie und stützt diese mit persönlichen Erfahrungen.

Der „echte“ Vater muss nicht der biologische Vater sein

Nach einem einschneidenden Erlebnis bei der Geburt ihres eigenen Babys erhielt die Forscherin von vielen Seiten Unterstützung, aber der Vater nicht. Als sie zu ihrer Arbeit an die Universität zurückkehrte, wollte sie herausfinden, was man über Väter weiß. Doch obwohl es einige Studien über abwesende Väter gab, wusste man kaum etwas über die Väter, die sich mit ihrem Kind beschäftigen. Durch die Ergebnisse ihrer Studie kam sie zu dem Schluss, dass der „echte“ Vater nicht unbedingt der biologische Vater sein muss. Vielmehr kann auch ein guter Freund der Mutter, der Onkel oder der große Bruder die Vaterrolle übernehmen. Bei genauerer Betrachtung gibt es also auch bei alleinerziehenden Müttern einen oder mehrere Männer, die die Vaterrolle übernehmen. Der Begriff „Vater“ sei vielmehr ein Titel, den man bekommt, wenn man sich um das Kind kümmert, so Malchin.

Der Vater in der Rolle des „sozialen Elternteils“

Auch wenn die Mutter einem Kind vieles beibringt, ist es am Vater, den Nachwuchs für die Zukunft zu rüsten. In der Forschung nennt man das „Scaffolding“ (rüsten), erklärt die Anthropologin und blickt dabei auf ihre Kindheit. Sie erzählt von ihrem Vater, der als Architekt tätig war. Von ihm habe sie gelernt, was es bedeutet, einem Job nachzugehen. Nach den Aussagen von Malchin ist eines der wichtigsten Dinge, die Väter ihren Kindern beibringen können, die Fähigkeit, unabhängig und selbstbewusst zu handeln. Der Vater unterstützt das Kind dabei, aus dem Schutz der Familie in die Herausforderungen des Lebens hinauszutreten. Das lässt sich bereits im Kindergarten erkennen, denn Kinder, die eine enge Bindung zu ihrem Vater haben, kommen neugierig in die Räume und gehen auf Erkundungsreise. Sie treten mutig, selbstbewusst und sicher in einer fremden Umgebung auf.

Im Gegensatz zum Vater, der das Kind für die Außenwelt bereit macht, ist die Mutter für die Sicherheit in Beziehungen zuständig. Väter sorgen aus der Sicht der Anthropologin für die emotionale Sicherheit des Nachwuchses. In dem Gespräch greift sie auf eine Studie der chinesischen Psychologin Baoshan Zhang zurück. In einer Untersuchung von Hunderten Oberstufenschülern wurde festgestellt, dass jene, die ihren Vater als warmherzig beschrieben hatten, eine höhere Resilienz aufwiesen. Diese Erfahrung machten verschiedene Forscher weltweit.

Welcher Elternteil sorgt für bessere schulische Leistungen?

Bei Jugendlichen, die nur einen Schritt vom Erwachsensein entfernt sind, ist diese Resilienz besonders deutlich festzustellen. So lässt sich durch die Studie beweisen, dass Väter einen großen Einfluss auf die psychische Gesundheit des Kindes haben. Wenn ein Kind also einen sensiblen Vater hat, entwickelt sich das Selbstwertgefühl besser, und es ist stressresistenter, erläutert die Forscherin die Ergebnisse.

Eine ähnliche Entwicklung zeigt sich dabei auch in den schulischen Leistungen. Der männliche Elternteil dient für den Nachwuchs als Vorbild. Deshalb überzeugen Kinder, deren Väter eine positive Einstellung und eine pflichtbewusste Haltung gegenüber der Schule haben, mit besseren schulischen Ergebnissen. Der Vater legt „das Fundament für gute Leistungen“, stellt Malchin fest.

Wie findet die Bindung zwischen Eltern und Kindern statt?

Die Bindung der Kinder beginnt bei der Mutter schon im Mutterleib, doch auch der Vater kann durch Streicheln des Bauches oder durch Reden zu dem Fötus eine erste Bindung aufbauen. Auch das Vorstellen, wie das Kind sein wird, hilft dem Mann, eine erste Bindung aufzubauen. Aus medizinischer Sicht kommt es bei der Bindung auf das Bindungshormon Oxytocin an, das in vielen verschiedenen Situationen ausgeschüttet wird. Die Mutter erfährt durch die Geburt einen „Tsunami an Bindungshormonen“, so die Forscherin. Diese Bindung wird besonders beim Stillen des Babys weiter vertieft. Einen Großteil von Oxytocin schüttet die Mutter durch sozialen Kontakt, wie beim Streicheln und Kuscheln, aus. Hierin liegt ein bedeutender Unterschied zu der Hormonbildung beim Mann.

Denn Väter schütten das Bindungshormon am meisten aus, während sie mit dem Kind interagieren. Das geschieht beim Spielen, Herumtollen oder nach wenigen Monaten durch das Lachen mit dem Baby. Da dieses Interagieren erst nach ein paar Monaten richtig möglich ist, kann sich der Vater zu diesem Zeitpunkt nicht geliebt fühlen, berichtet Malchin aus ihrer Erfahrung. Einige Väter sprachen davon, zu versagen, doch dahinter steckt lediglich „ein sehr dominanter, neurochemischer Grund“, beruhigt sie die Väter.

Ernährer oder Beschützer: Verschiedene Ansichten über die Aufgaben des Vaters

In der heutigen Gesellschaft gibt es zwei verschiedene Arten von Vätern. Zum einen gibt es den Vater, der seine Aufgabe darin sieht, die Familie zu ernähren. Diese Art von Vätern verbringt wenig Zeit mit seinen Kindern, sondern arbeitet von früh morgens bis spät abends, um die Familie zu versorgen. Oftmals bleibt Vätern auch nichts anderes übrig, als viel zu arbeiten, denn in der aktuellen Situation ist es sehr schwer, Familie und Arbeit miteinander zu vereinen. Die andere Denkweise ist, dass der Vater das Kind vor großen Gefahren zu beschützen hat. Anna Malchin berichtet von der Forschung von Robert LeVine, einem Entwicklungsforscher an der Universität Harvard. Dieser vertritt die Meinung, die wichtigste Aufgabe des Vaters liege darin, „das Überleben und den zukünftigen Erfolg ihres Nachwuchses zu sichern.“

Betrachten wir uns einen Ort mit viel Gewalt, Chaos oder gefährlichen Tieren. Dort liegt es am Vater, seinen Nachkommen vor diesen Gefahren zu beschützen. Natürlich werden Kinder in unserer westlichen Gesellschaft kaum von wilden Tieren attackiert oder extrem großen Gefahren ausgesetzt. Dort sehen die Väter es als ihre Aufgabe an, die schulische und berufliche Zukunft zu sichern. Das, was die Kinder am meisten bedroht, ist, „dass sie im Leben scheitern – zwischenmenschlich und wirtschaftlich“, bemerkt die Forscherin.

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