Beim neunten katholischen Flüchtlingsgipfel forderte Erzbischof Stefan Heße eine Weiterentwicklung des Flüchtlingsschutzes in Deutschland. Der Hamburger Erzbischof sagte bereits vor dem Gipfel im Gespräch mit 170 Fachleuten in Mainz, dass Migration ein Markenzeichen unserer Zeit sei. Zugleich warnte er beim Treffen am Mittwoch vor einem Abbau der Humanität.
Flüchtlingsgipfel: Drei Millionen Asylanträge in zehn Jahren
Nach amtlicher Statistik wurden in Deutschland zwischen 2015 und 2025 mindestens drei Millionen Asylanträge registriert. Im Gegensatz dazu beläuft sich die Zahl der Abschiebungen im Zeitraum von 2014 bis 2024 auf 197.368. Auch im Rahmen des Familiennachzugs kamen mehr als 640.000 Personen nach Deutschland. Laut aktueller Finanzplanung sollen sich die Ausgaben für Sozialleistungen an Asylbewerber im Zeitraum von 2023 bis 2028 auf insgesamt 77,2 Milliarden Euro belaufen.
Auch die Deutsche Bischofskonferenz präsentierte beim Flüchtlingsgipfel aktuelle Zahlen zur Flüchtlingshilfe. Demnach wurden seit 2014 mehr als 1,182 Milliarden Euro für die katholische Flüchtlingshilfe in Deutschland und im Ausland bereitgestellt. Zudem haben die 27 Bistümer, die Militärseelsorge sowie kirchliche Hilfswerke allein im vergangenen Jahr 84,4 Millionen Euro für die Flüchtlingshilfe aufgewendet – davon 34 Millionen Euro für inländische und 50 Millionen Euro für ausländische Projekte.
Unter dem Motto „Flüchtlingsschutz in Gefahr? – Ethische Orientierungen und praktische Antworten in schwierigen Zeiten“ versammelten sich die Teilnehmenden in Mainz, um über aktuelle Gefahren und Herausforderungen für den Flüchtlingsschutz zu debattieren. Dazu betonte Heße zur Eröffnung, dass das kirchliche Engagement für Geflüchtete auch bei Gegenwind nicht nachlasse und standhaft an der Seite der Schutzsuchenden bleibe.
Kritik an US-Vizepräsident J.D. Vance
Der Hamburger Erzbischof warnte beim Flüchtlingsgipfel davor, die Rechte von Schutzsuchenden zu schwächen. Die Humanität dürfe nicht abgebaut werden, betonte Heße eindringlich: „Autoritäre und rechtsextreme Tendenzen nehmen zu, internationale Verpflichtungen werden infrage gestellt, der Multilateralismus steckt in der Krise.“ Er verwies auf die großen Herausforderungen der Zeit. Die Flüchtlingsdebatte sei so zugespitzt, dass viele Menschen Migration als die größte Herausforderung wahrnehmen. Gerade aus Sicht der Engagierten sei jedoch deutlich, dass Probleme angegangen werden müssten. Als Beispiel nannte er die dringend notwendige bessere Unterstützung stark belasteter Kommunen. Kritisch äußerte er sich zur im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD geplanten Aussetzung des Familiennachzugs sowie zu Zurückweisungen an den Grenzen.
Auch Ursula Nothelle-Wildfeuer, Professorin für Christliche Gesellschaftslehre in Freiburg, kritisierte US-Vizepräsident J.D. Vance und dessen Rangordnung von näher- und fernerstehenden Menschen. Durch eine solche Sichtweise werde deutlich, dass „für die Migranten kein Stück dieser Liebe übrigbleibt“, so Nothelle-Wildfeuer.
Migration als Markenzeichen der Zeit
Bereits im Vorfeld des Flüchtlingsgipfels äußerte sich Heße in einem Interview mit SWR Aktuell. Darin betonte er, dass Migration ein prägendes Merkmal unserer Zeit sei. Davor dürfe man nicht die Augen verschließen, sondern müsse tragfähige Lösungen finden.
Mit „Alleingängen oder isolationistischen Ansätzen“ lasse sich das Thema Migration nicht bewältigen. „Man wird das nicht wuppen können“, sagte er wörtlich. Er sprach sich nachdrücklich für ein universales Verständnis christlicher Nächstenliebe aus: Diese dürfe weder auf nationale noch auf regionale Grenzen beschränkt werden. Vielmehr sei es unsere Pflicht, mit Ausdauer und Engagement daran zu arbeiten, menschenwürdige Lebensbedingungen für alle Menschen zu ermöglichen, so Heße.