Die Flüchtlingswelle im Libanon ist vor allem auf die anhaltende Kriegslage zurückzuführen. Diese humanitäre Krise belastet die politische und soziale Struktur des Landes zunehmend und sorgt für zusätzliche gesellschaftliche Spannungen. Beobachter der Lage befürchten durch die Flüchtlingsströme die Zunahme des religiösen und sozialen Konfliktpotenzials. Mit Blick auf die Flüchtlinge warnt Marielle Boutros, die Projektkoordinatorin des weltweiten katholischen Hilfswerks „Kirche in Not“ (ACN) im Libanon, davor, dass dies „den Boden für zukünftige Konflikte“ bereiten könnte. Schon jetzt haben viele Libanesen Angst, Flüchtlinge aufzunehmen, da sie befürchten, dass sie selbst durch deren Anwesenheit Angriffen ausgesetzt sind.
Flüchtlingswelle stellt Helfer vor große Herausforderungen
„Kirche in Not“ berichtet von mittlerweile 1,5 Millionen Flüchtlingen innerhalb des Landes. Das entspricht etwa einem Viertel der gesamten Bevölkerung im Libanon, die sich zumeist im Libanongebirge aufhalten. Diesen Menschen fehlt es an allem, erklärt Boutros. So konnten sie auf ihrer Flucht Nahrung, medizinische Versorgung, Wasser, Kleidung oder Hygieneartikel mitnehmen, führt die Projektkoordinatorin das Problem der Menschen aus. Einige der Flüchtlinge fanden in mehrheitlich christlichen Gemeinden Zuflucht. Auch wenn die kirchlichen Mitarbeiter sie „immer noch mit viel Nächstenliebe“ empfangen, stellt dies die Diözesen zunehmend vor Herausforderungen.
Viele, egal ob Helfer oder Flüchtlinge, seien körperlich wie psychisch am Ende. Denn obwohl die Angriffe hauptsächlich den terroristischen Zielen der Hisbollah galten, leben die Menschen in ständiger Angst, Kollateralschaden zu werden. Die körperliche und psychische Erschöpfung wird weiter zunehmen, betont Boutros besorgt. Man dürfe auch nicht vergessen, dass sich der Libanon seit Jahren politisch und wirtschaftlich in großen Schwierigkeiten befindet, die durch die Flüchtlingswelle dramatisch verschärft wurden. Das stellt auch ein Problem für die Kirche dar, die ihre gesamten Ersparnisse während der Finanzkrise verlor, erklärt die Mitarbeiterin von „Kirche in Not“. Dennoch hat die Kirche die karitativen Dienste fortgeführt, auch wenn viele Mitarbeiter kein festes Einkommen haben, so Boutros. Die Lage sei schlichtweg bedrückend.
Wiederaufbau nur mit fremder Hilfe möglich
Zusätzlich zu der ohnehin angespannten Situation steht den Menschen auch ein schwieriger Winter bevor. Ein Ende des Krieges ist nicht absehbar, und besonders die Menschen aus dem Süden Libanons können in absehbarer Zeit nicht in ihre Regionen zurückkehren. Viele Christen können wohl etwas früher zurückkehren, da ihre Häuser nicht so schwer beschädigt sind, mutmaßt Boutros. Dennoch benötige man für den Wiederaufbau der Häuser und Dörfer fremde Hilfe.
„Kirche in Not“ setzt sich mit 15 verschiedenen Projekten von Diözesen und Ordensgemeinschaften für Binnenflüchtlinge ein. Zudem unterstützt sie katholische Schulen, die wegen der fehlenden Sicherheit auf Online-Unterricht umgestiegen sind. Wenn etwas im Libanon bestand, dann katholische Schulen, so Boutros. Das Bildungssystem sei neben all den wertvollen Diensten der Diözesen und Ordensgemeinschaften sehr wichtig.